Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, das Feuerwerk der Fantasie

Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, das Feuerwerk der Fantasie

EXPOSÈ von MICHAEL NITZSCHKE

In den 90er Jahren sah die Stadt Leipzig an den Pfingsttagen schwarz – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Wer zu dieser Zeit durch die Innenstadt lief oder am Gelände der ehemaligen Landwirtschaftsausstellung vorbei kam, der sah sich mit großen Gruppen schwarz gekleideter Leute konfrontiert, die oft auch noch weiß geschminkt waren. Die Jünger der Gothic-Subkultur – oft wegen ihrer Vorliebe für die schwarze Szene und Friedhöfe „Gruftis“ genannt – hatten die Messestadt für sich entdeckt. Daraus sollte eine lang anhaltende Tradition entstehen, die inzwischen jedes Jahr zu Pfingsten Fans aus aller Herren Länder anzieht. Jahr für Jahr pilgern rund 20.000 Anhänger nach Leipzig um hier ihre Musik zu hören, sich mit Gleichgesinnten zu treffen und – nicht zuletzt – sich den interessierten und begeisterten Einwohnern zu präsentieren.

Dabei waren die Leipziger in den ersten Jahren eher skeptisch und oft nicht ohne Ängste, denn die so unheimlich anmutenden „Schwarzen“ erschienen vielen Einwohnern ziemlich suspekt. Doch von Jahr zu Jahr ließen diese Vorbehalte nach, die Leipziger merkten, dass die Anhänger des Wave-Gotik-Treffens eigentlich sehr liebenswerte Leute sind. Das Wave-Gotik-Treffen ist wohl eine der friedlichsten Großveranstaltungen, trotz ihres manchmal martialischen Aussehens sind die Gotiks im wirklichen Leben sehr nett. Die Fans wollen hier einfach Spaß haben, ihre Musik erleben und sich mit ihren oftmals sehr fantasievollen Verkleidungen in der Öffentlichkeit zeigen.

Wer zu Pfingsten durch Leipzig spaziert kommt mit Sicherheit auf seine Schau-Kosten, es sei denn, er ist auf andere Prinzipien festgelegt.

Inzwischen ist das ursprüngliche Schwarz jedoch fast zu einer Kleidung der Minderheit geworden.

Bei den heutigen Treffen überwiegt Bunt in allen Schattierungen und die Kostüme reichen vom üppigen Stil des Barock über den Romantik-Stil bis zu den unwirklichsten Fantasy-Kostümen. So mancher der Fans der ersten Stunde bedauert das, die meisten Leipziger finden es jedoch einfach Klasse. Irgendwie erinnert das Festival etwas an Karneval mit tollen Kostümen und jeder Menge Unterhaltung. In einer Stadt, die praktisch keine Karnevals-Tradition hat, ist das vielleicht ein ansprechender Ersatz.

In der Stadt haben auch viele Leute gemerkt, dass dieses Wave-Gotik-Treffen zudem einen nicht unerheblichen positiven Nebeneffekt hat – die Fans bringen viel Geld nach Leipzig. Hoteliers und Händler wissen sehr zu schätzen, dass die meisten Gotik-Anhänger gut ausgebildete und nicht schlecht verdienende Leute sind, da findet man Ärzte, Ingenieure, Rechtsanwälte und andere Berufsgruppen. Wer also über Pfingsten ein freies Hotelzimmer in der Messestadt sucht, kann durchaus Schwierigkeiten bei der Suche haben.

Für Fotografen ist das Wave-Gotik-Treffen ebenfalls ein „Schlaraffenland“. Die wunderbarsten Motive laufen ihnen an vielen Stellen der Stadt praktisch in die Arme – oder besser gesagt vor die Linse. Das ist eine Win-Win-Situation für beide Gruppen, die Fotografen finden Motive in Hülle und Fülle und die Gotik-Anhänger werden beachtet und in ihren fantasievollen Kostümen abgelichtet. Allerdings passiert es inzwischen immer öfter, dass sich vor besonders gefragten Gotiks lange Fotografen-Schlangen bilden und man etwas länger warten muss, bis die Fotos aufgenommen werden können. Die tollen Fotos und Eindrücke entschädigen jedoch für alles und eine ganze Stadt wartet auf das nächste Pfingsten, wenn Leipzig wieder schwarz – pardon bunt – wird.

KOMPLETTE REPORTAGE UND BILDAUSWAHL SIND LIEFERBAR!

TEXT UND FOTOS: Michael Nitzschke