Am Mittelpunkt Europas!

Am Mittelpunkt Europas!

Der sagenumwobene Tillenberg

Wo liegt der Mittelpunkt Europas? Diese interessante Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, zumal diese Eigenschaft schon mehreren Ortschaften bzw. Punkten zugesprochen wurde. Wenn wir eine Karte von Europa betrachten, so würden wir ihn bei grober Schätzung etwa nordöstlich von uns, vielleicht in Polen oder im östlichen Teil Tschechiens vermuten. Doch wie die nachfolgenden Zeilen zeigen werden, ist er in Bayern, wo er mittlerweile schon an drei verschiedenen Stellen zu finden sein soll.

Wer schon einmal durch den kleinen Erholungsort Neukirchen vorm Wald im Bayerischen Wald fuhr, dem fiel vermutlich eine originelle Ortstafel auf, die dort vor Jahren aufgestellt wurde und die darauf hinweist, dass der Ort am Mittelpunkt von Europa liegt. Einen viel älteren Anspruch auf diese Eigenschaft kann aber der „Tillen“ bei Neualbenreuth in der nördlichen Oberpfalz für sich verbuchen. Dieser 939 Meter hohe Grenzberg, dessen Gipfel bereits auf tschechischem Gebiet liegt, ist sozusagen der nördlichste Vorposten des Oberpfälzer- und Böhmerwaldes. Österreichische Geographen haben diesen Berg im vorigen Jahrhundert als den geographischen Mittelpunkt Europas errechnet und dies auch auf einer Kupferplatte dokumentiert, die sie auf dem Gipfel anbrachten. Diese ist jedoch heute nicht mehr vorhanden. Wer auf bayerischer Seite eine Tillenberg-Wanderung unternimmt und bis in etwa 800 Meter hinaufsteigt, der stößt unmittelbar unterhalb der Landesgrenze auf einen Gesteinsblock, den sogenannten Königsstein. Er ist mit verschiedenen Jahreszahlen versehen. Diesen bezeichnet man in der näheren Umgebung schon seit jeher als den Mittelpunkt Europas. 1985 errichtete man unweit davon die „Granitsäule Mittelpunkt Europas“ mit verschiedenen Jahreszahlen und Wappen. Auch der lateinische Originaltext anlässlich der großen mitteleuropäischen Landvermessung von 1865-1873 befindet sich darauf.

Um es genau herauszufinden, wo der Mittelpunkt Europas liegt, ließen die Redakteure der Sendung des Bayerischen Rundfunks: „Bayern, wo’s kaum einer kennt“, vor Jahren den Mittelpunkt neu vermessen. Das Institut für Geographie der Universität München, das den Auftrag ausführte, kam zu dem Ergebnis, dass der Mittelpunkt etwas südlicher, und zwar in Hildweinsreuth bei Flossenbürg zu suchen ist.

Der Tillen (Dylen) besitzt eigentlich drei Gipfel. Der nördlichste ist der eigentliche Tillen, etwas südlicher folgt der 875 Meter hohe Irrstein und oberhalb von Altmugl erhebt sich der 865 Meter hohe Schopfberg. Auf Einsamkeit trifft hier der Wanderer, wenn er die dichten Wälder des Bergstocks durchstreift. Doch nicht immer war es hier so ruhig! Vor dem Zweiten Weltkrieg soll an den Wochenenden oft reges Leben geherrscht haben, als noch das gastliche Tillenhaus auf dem Gipfel zu einer zünftigen Brotzeit einlud. Dieses Unterkunftshaus, das im Jahre 1926 von der Sektion Eger des Alpenvereins erbaut wurde, war oft Ziel von Ausflüglern aus der Egerer und Marienbader Gegend auf der tschechischen Seite, sowie aus dem Gebiet um Neualbenreuth auf der bayerischen Seite des Berges. An der Stelle des Tillenhauses, das von den Tschechen nach 1945 abgerissen wurde, baute man eine Radaranlage. Seit dem Wegfall des Eisernen Vorhanges ist diese jedoch außer Betrieb und man kann hier wieder unbeschränkt grenzüberschreitend wandern.

Im Mittelalter war die Gegend um den Tillen das Ziel vieler Goldgräber und Edelsteinsucher. So trägt auch eine hier entspringende Quelle den bezeichnenden Namen „Granatbrunnen“. Aus dieser Zeit stammen viele Sagen. In den alten Erzählungen kommt immer wieder der kostbare Tillenschatz vor. Die bekannteste Sage handelt aber von der verschwundenen Tillenstadt, die hier einst gestanden haben soll und die angeblich nach dem Untergang der Stadt Eger wieder auferstehen wird.

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Text & Fotos: Walter J. Pilsak

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