Hoch hinaus – Trendsportart Klettern

Hoch hinaus – Trendsportart Klettern


Gerd baumelt in gut 12 m Höhe an einem Seil. Einem recht dünnen Seil. Es ist kunstvoll in seinen stabilen Klettergurt geschlungen, der sich stramm um Gerds füllige Hüften und pralle Oberschenkel spannt. Eben ist Gerd wieder abgerutscht, beim dritten Versuch, einen gefühlt mikroskopisch kleinen Haltepunkt mit krankhaft ausgestreckten Fingern zu erreichen. Vor ihm eine mit allerlei bunten Tritten und Griffen bestückte senkrechte Wand, unter ihm lange, lange nichts, über ihm das heiß ersehnte Ziel: Ganz oben. Ein kurzer Blick runter zu seiner Frau Heidemarie, die ihn sichert. Kannst Du noch? Heidemarie kann, sie nickt mit dem Kopf. Also ein neuer Versuch – so schnell gibt Gerd nicht auf. Jetzt nicht mehr. Vor ein paar Wochen sah das noch ganz anders aus. Vor ein paar Wochen sah Gerd noch anders aus. Ganz anders.

Da gehörte Gerd schon eine gefühlte Ewigkeit lang zu den vielen Mittvierzigern, die sich widerstandslos längst mit erheblichem Übergewicht, gefährlichem Bluthochdruck, drohendem Diabetes und quälenden Rückenbeschwerden abgefunden hatten. Seine Abende verbrachte er gemütlich auf dem Sofa und sah, gestärkt von einer Tüte Chips links, einer Flasche des bekannten bräunlichen Blubberwassers rechts, vor dem Fernseher anderen beim Sporteln zu. Wollte seine Frau – aktive Reiterin und Läuferin – zum Mitmachen animieren, winkte er ab. Zu anstrengend, das alles, und dann – das Kreuz! Nee, nee, mach´ mal lieber alleine!

Bis Heidemarie energisch wurde und gemeinsame Sache mit Gerds Hausarzt machte. Der redete ihrem Angetrauten schon seit Jahren erfolglos ins Gewissen, drohte mit Insulinspritzen, Bandscheibenvorfällen und anderen medizinischen GAUs die Gerd erwarteten, wenn er nicht endlich, endlich sein Leben umstellte. Argumentierte mit steigender Lebensqualität und Krankheitsvorbeugung, bot Nordic Walking, Schwimmen oder Klettern als geeignete Einsteigersportarten an. Erfolglos. Dem vereinten guten Zureden von Gattin und Arzt aber konnte Gerd aber irgendwann nicht mehr standhalten - mehr um des lieben Friedens willen als aus innerer Überzeugung ließ er sich überreden, wenigstens einen Schnupperkurs in der neu eröffneten Kletterhalle gleich im nächsten Ort mitzumachen. Nur so, zum Ausprobieren. Als seelische Unterstützung wurde sein bester Kumpel Hannes angeheuert, dem ein bisschen mehr Bewegung ebenfalls gut tun würde, während Heidemarie sich zunächst vornehm zurückhalten wollte. Die Männer sollten erst mal unter sich bleiben … eine weise Entscheidung.

Der Tag X rückte näher und alle kurzfristig vorgebrachten Ausflüchte waren vergebens, so überzeugend sie zumindest in Gerds Ohren auch klangen. Es half nichts, ab ging es zur Kletterhalle, wo die Höhe der installierten Klettertouren die Gesichtsfarbe der beiden gestandenen Männer kurzfristig deutlich verblassen ließ. Da sollten sie hoch? Der Trainer aber fackelte nicht lange und ehe Gerd es sich versah, hatte er einen Gurt um, ein paar kurze Hinweise mit auf den Weg bekommen und war mit einem Seil gesichert. Zusätzlich hing der Klettertrainer sich selbst zur Auflastung diskret noch einen Sandsack an den Klettergurt, um die allzu große Gewichtsdifferenz zwischen Kletterer und Sicherndem sicherheitshalber auszugleichen. Noch ein „Nur Mut, das klappt schon!“ und dann stand Gerd vor der senkrecht aufragenden Wand mit ihren vielen bunten Tritten und Griffen, die es nun zu erklimmen galt. Ein verstohlener Blick rundum – guckt wer oder lacht gar schon jemand? Niemand guckte, keiner lachte. Ein letztes Zurechtrücken des engen Klettergurtes – konnte da auch sicher nichts reißen? Und dann der erste Meter in der Kletterwand. Ganz ruhig, Zug um Zug, konzentriert und tief atmend, ging es fast wie von selbst immer höher. Hier musste kurz überlegt, dort ein Zuruf des Klettertrainers beachtet werden, doch schon nach wenigen Minuten stellte Gerd völlig überrascht fest: Höher geht´s nicht, ich bin schon ganz oben!

Und da war es passiert: Gerd hatte sich infiziert, war wie viele andere dem Kletterfieber zum Opfer gefallen. Noch vier Routen kletterte er beim Schnuppertraining, immer abwechselnd mit Hannes und lange bevor die beiden am Ende den Klettergurt gelöst hatten musste mit dem Trainer ein Termin für einen „richtigen“ Grundkurs gefunden werden. Hannes machte mit, Ehrensache, und auch Heidemarie wurde gnädig eingeladen, doch mitzutun.

Wie Gerd, Heidemarie und Hannes entdecken immer mehr Menschen das Klettern für sich. Es sind ganz und gar nicht vor allem athletische junge Menschen, die gestählte, in stylische Klamotten gehüllte Körper steile Überhänge hochquälen und sich permanent Höchstleistungen abverlangen. Nein, die Klientel der vielen Kletterhallen reicht von quirligen Kindergartenkindern bis zu gestandenen Mit – oder Endvierzigern, von drahtigen Sportlern bis zu eher rundlichen Couch Potatoes. Die im so genannten besten Alter befindliche Bevölkerungsgruppe ist dabei oft überraschend hoch motiviert und zahlreich vertreten: Manche lassen hier Kinderträume wieder aufleben, andere wollen überflüssige Pfunde, dauernde Rückenschmerzen und lähmende Antriebslosigkeit hinter sich lassen, vielleicht es sich und anderen einfach noch einmal beweisen. Oder: Einfach nur Spaß haben.

Warum ausgerechnet Klettern? Klettern fördert und fordert Vertrauen ins sich selbst und andere, steigert die Konzentrationsfähigkeit, verlangt das Fokussieren aufs Wesentliche. Es geht ausgesprochen ruhig und gelassen zu in einer Kletterhalle, Hektik und Lärm sind hier unerwünscht. Schließlich müssen Kletterer und Sichernder sich stets untereinander absprechen können, und das über oft nicht unerhebliche Distanzen und Höhenmeter. Profilneurotische Selbstdarsteller im Schickimickioutfit findet man drum nur selten, in manchen Hallen wird, je nach Klientel, sogar das Klettern mit freiem Oberkörper ungern gesehen, lautes Geächze – so nicht unvermeidlich – ist ausgesprochen verpönt. Das alles sorgt für ein Rundum-Wohlfühlerlebnis, in dem jeder nach Lust und Laune mal der Gesundheit wegen, mal einfach aus Spaß, mal mit hohem Leistungsanspruch klettert und schiefe Blicke, heimliches Geläster und Neid Seltenheitswert haben.
junge Frau in Sicherheitsgurten beim Klettern
fünf Karabiner am Seil hängend an einer Felswand
Perito Moreno Gletscher, Nationalpark Los Galciares, Argentinien, Eiskletterer, Lago Argentino, Argentinia
Eine Frau klettert in einer Kletterwand
Gerd würde das sicher bestätigen, seine durchaus beachtenswerten Rundungen waren niemandem einen zweiten Blick wert, seine Erfolge beim Bewältigen selbst der einfachsten Routen ernteten denselben Beifall wie die Höhenflüge der echten Cracks.

Klettern ist aber viel mehr als nur irgendeine weitere Sportart, mehr als ein kurzlebiger Trend – nicht nur die Aktiven selbst, auch Orthopäden, Internisten und Psychologen singen das Hohelied der Kraxelei in Fels und Halle. Körper und Geist profitieren, doch auch und vor allem die Seele bekommt jede Menge Streicheleinheiten. Kein Wunder, das sich inzwischen parallel zum Sportklettern das „Therapeutische Klettern“ entwickelt hat.

Geklettert wird also beileibe nicht nur so, zum Spaß, auch ganz handfeste medizinische Gründe lassen Patienten mit Schlaganfall, Multipler Sklerose oder den fast schon allgegenwärtigen Rückenbeschwerden mutig nach Tritten und Griffen suchen. Angstpatienten lernen, Grenzen zu überwinden und Selbstvertrauen zu gewinnen, Depressive schöpfen neuen Lebensmut und knüpfen Kontakte, Kinder mit Verhaltensproblemen und Konzentrationsstörungen finden Wege zum inneren Wachstum. Selbst in der Geriatrie setzt man inzwischen auf die heilsame Wirkung des Kletterns. Und als Teil der Erlebnispädagogik verschafft das Klettern vom Kindergartenkind bis zum Manager wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse. Das Beste daran: Die heilende Wirkung dieser Sportart hat so gar nichts von erhobenem Zeigefinger, kommt nicht im weißen Kittel daher, kann auf aufwändige Hilfsmittel verzichten. Sie knüpft ganz unauffällig an Kindheitserlebnisse an, die uns alle vereinen – wer ist nie auf Nachbars Kirschbaum geklettert, heimlich über Zäune gekraxelt oder als Mutprobe auf den Felsen tief im Wald, wo die Eltern nichts von dem gefährlichen Spaß mitbekommen konnten?

Der Einstieg ins Klettern wird leicht gemacht, die Hemmschwelle ist bewusst niedrig gehalten. So werden auch Unsportliche, Übergewichtige oder gesundheitlich Vorbelastete an einen Sport herangeführt, der dem Körper gut tut, den Geist schult, manchmal sogar die Seele heilt. Was subjektiv so anstrengend und gefährlich wirkt – wer denkt beim Stichwort „Klettern“ nicht spontan an die Huber Buam und ihre atemberaubend artistischen Touren - ist auf Einsteigerniveau dank guter Schulung durch ausgebildete Klettertrainer und ausgeklügelter Sicherungssysteme ein Sporterlebnis, das selbst Ungeübte recht schnell zu Erfolgserlebnissen führt. Glücksgefühle und Stolz stellen sich fast zwangsläufig beim Bewältigen jeder Route ein, ganz unabhängig von deren Schwierigkeitsgrad. Denn: Am Ende jeder Tour ist man ganz oben!

Vielen geht es deshalb so wie Gerd, Hannes und Heidemarie: Einmal hineingeschnuppert, lässt das Klettern einen nicht mehr los. Auf den Schnupperkurs folgt ein Grundkurs, in der die Handhabung von Gurt, Seil und Sicherungsgerät geübt und, immer unter den wachsamen Augen eines ausgebildeten Klettertrainers, erste Sicherheit im Klettern erlangt wird. Die Kletterer und Sichernden machen sich vertraut mit den Routinen, den Bewegungsabläufen, auch der Kennzeichnung und Einteilung von Routen. In Kletterhallen sorgen erfahrene Routenschrauber dafür, dass für jedes Leistungsniveau passende Routen geklettert werden können, der Schwierigkeitsgrad einer Route ist durch ein einfaches Kennzeichnungssystem mit Zahlen und +/- Symbolen leicht erkennbar. Die oft überlappend angelegten Tritte und Griffe der Routen sind dabei in unterschiedlichen Farben gehalten und so optisch gut getrennt. Am Einstieg ist immer der Schwierigkeitsgrad vermerkt, eine oft launige Routenbezeichnung motiviert zusätzlich: Kinder sind stolz, wenn sie auf der „Finde das Eichhörnchen!“-Route tatsächlich den obersten Griff erreichen, der dem rotfelligen Kletterkünstler nachempfunden ist, Gerd durfte sich als Erstes an die „Schwing den Hintern hoch“ wagen und hat sich das wohl zu Herzen genommen, und das intensive Nachdenken über die den tieferen Sinn der kryptischen Bezeichnung „Pummeluff“ für eine 4er Route hat wohl schon so manchem Neu-Kletterer über den eingebauten Überhang geholfen …
Der Grundkurs ist nur der Anfang, danach geht es höher, schneller, weiter: Mit zunehmender Sicherheit wagt man sich bald, hoffentlich immer gut gesichert und mit klarem Blick für die eigenen Grenzen, an anspruchsvollere Routen, klettert zügiger, dynamischer, geschickter, kraftvoller. Wagt sich höher hinaus, meistert Überhänge, klettert kopfunter im Dach. Wechselt bei geeignetem Wetter aus der Kletterhalle ins Freie, an Kletterfelsen im Umland, Klettergebiete im Ausland. Probiert das Bouldern (ungesichertes Technikklettern in Absprunghöhe über dicken Matten) aus, das Vorstiegsklettern. Oder genießt einfach nur einmal wöchentlich ganz ohne Druck und ohne Anspruch das gemeinsame Kraxeln mit guten Freunden, freut sich am Erfolg, der am Ende jeder Route wartet: Wenn man ganz oben angekommen ist.

Wie es Gerd heute geht? Die Rückenschmerzen sind inzwischen Geschichte. Gerd hat endlich einen guten Grund fürs Abnehmen gefunden, weil Heidemarie ihn ohne Sandsack nicht sichern kann und das Gerd nun auf die Dauer zu peinlich wird. Die Pfunde purzeln, erst langsam, bald zunehmend flott. Die Kondition steigt, denn Gerd hat sich nun doch überwunden und mit Nordic Walking begonnen, um in Sachen Ausdauer bald besser mithalten zu können. Chips und Brause sind Äpfeln und Selters gewichen, Zeit für gemütliche Fernsehabende hat er irgendwie kaum noch. Hannes und Heidemarie sind weiterhin mit von der Partie und Hannes´ Frau Elke ließ sich dazu überreden, demnächst ebenfalls einen Schnupperkurs zu machen. Nur mal so, zum Ausprobieren – schon klar …


Text: Angelika Schmelzer
Fotos: Bildagentur Zoonar (Hinweis: Alle Fotos auch einzeln bei Zoonar erhältlich).


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