Wenn Bäume reden könnten

Eine alte Buche erzählt aus ihrem Leben
Wenn Bäume reden könnten

Eine alte Buche erzählt aus ihrem Leben

Sie werden immer rarer, die alten Baumveteranen. Die Jahrhunderte sind nicht spurlos an ihnen vorüber gegangen. Alle haben sie vernarbte Gesichter und abgebrochene Äste deren Wunden schon lange wieder verheilt sind. Nicht selten sind Stämme und Äste bemoost. Liebespaare, die schon lange nicht mehr auf dieser Welt verweilen, haben ihre eingeschnitzten Initialen im Stamm hinterlassen. Gar manche Unwetter haben sie schadlos überstanden. Kriege begannen und endeten wieder. Die einzigen, die alles überstanden, waren die alten Baumriesen, die heute 300, 500 oder gar 1000 Jahre alt sind. Einer von ihnen, eine alte, mächtige Buche hat sich bereit erklärt, etwas aus ihrem langen Leben zu erzählen.

„Gestatten Sie! Mein Name ist Fagus, so werde ich von den Gelehrten und Wissenschaftlern genannt. Meine Verwandten aus der großen Familie der Bäume jedoch, die einst neben mir standen, nannten mich einfach „Buche“. Leider leben dieses alle nicht mehr. Ich bin der letzte in meiner Familie. Jetzt haben nur junge Halbstarke aus der Familie der Birken neben mir angesiedelt, die noch nichts von den Unbilden auf dieser Welt wissen. Diese glauben, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. Wenn ich ihnen aus meinem langen Leben erzähle, dann hören sie gar nicht zu.“

„Schon fast 300 Jahre ist es her, das ich 1715 hier an einem Frühling zusammen mit mehreren Geschwistern das Licht der Welt erblickte. Meine Mutter lernte ich nicht kennen. Der Wind sagte mir, dass sie kurz vor meiner Geburt gefällt wurde. Meine Geschwister wurden nicht alt. Rehe und Wildschweine kamen immer wieder und taten sich an ihren Blättern gütlich. Lange hielten sie dies nicht durch und verstarben. Mich hatten sie zum Glück irgendwie übersehen, da ich etwas abseits stand. Nur selten kamen Menschen mit ihren Pferdegespannen vorbei. Der Wind erzählte mir auch, dass diese Menschen vor etwa 100 Jahren unter einem langen Krieg leiden mussten und die Häuser in dem Dorf hinter dem Hügel alle geplündert und abgebrannt wurden. Da fast keine Menschen vorbei kamen, verbrachte ich meine Jugendzeit deshalb sehr ruhig. Die einzige Abwechslung brachte das Wetter mit sich. 1810, als ich schon fast 95 Jahre alt war, kamen Soldaten hier vorbei die in einer seltsamen mir unbekannten Sprache redeten. Einige von ihnen lagerten im Schatten meiner Krone. Der Wind der sich auskannte, da er überall herum kam, sagte mir dass dies Franzosen wären und mit Napoleon in einen Krieg ziehen.


„70 Jahre später kamen dann sehr viele Menschen in meine Nähe, die eine Art Straße bauten. Wie mir der Wind sagte, seien dies Eisenbahnschienen auf denen eiserne, dampfende Ungetüme fahren, die sehr viel Lärm machen und auch stinken. Manchmal brachte mir der Wind eine kleine Prise mit.

Mittlerweile war ich 200 Jahre alt und hatte schon einen mächtigen Stamm und eine weitausladende Krone. Irgendwann einmal kamen Männer mit Werkzeug und bauten an meinen Stamm eine Sitzbank. Ab jetzt kamen öfters mal Menschen zu mir und setzten sich auf die Bank. Mütter mit Kinder oder Liebespaare, die sich in meinem Stamm verewigten. Etwas später waren wieder viele Menschen unterwegs. Der Wind erzählte mir das dies Soldaten seien und das wieder Krieg ausgebrochen ist. Doch auch dieser ging für mich schnell wieder vorbei. Einen Sommer später schlug dann ein Blitz in meine Krone ein. Ich bin zwar sehr erschrocken, doch außer einer langen Narbe sind mir keine weiteren Schäden geblieben. Auf dem Hügel, hinter dem einst vor meiner Geburt das Dorf brannte, sah man jetzt Häuser stehen. Diese rückten immer weiter her zu mir und der Ort wurde immer größer. Doch die Friedenszeit dauerte nicht lange. Es war schon wieder Krieg, was mir allerdings nicht viel ausmachte. Doch diesmal schlugen auch in meiner Nähe Bomben ein und ich hatte das erste Mal große Angst, das ich getroffen werde. Aber auch diese schlimme Zeit ging vorüber.“

„Vor 60 Jahren herrschte dann plötzlich reges Leben auf dem Weg, der vor mir vorbeiführte. Menschen kamen mit großen Maschinen und mit einer stinkenden Maschine machten sie den Weg glatt und eben. Ich rätselte, was dies wohl würde. Der Wind, der alles wusste half mir wieder auf die Sprünge. Er sagte, dass dies eine Asphaltstraße sei, welche jetzt überall im Land gebaut werden. Von da an war es vorbei mit der Stille. Unzählige Autos fuhren jetzt mit Lärm und Gestank täglich vorbei und niemand nahm von mir Notiz.“

„Vor einigen Jahren habe ich bei einem schweren Orkan einen meiner starken Äste verloren. Wenn ich noch gesund gewesen wäre, hätte mir das bisschen Wind nichts ausgemacht. Doch schon einige Jahrzehnte vorher, als ich immer schwächer wurde, hat man meinen teilweise holen Stamm innen mit Beton ausgefüllt. Das half mir wieder etwas auf die Beine. Doch jetzt fühle ich mich schwach und krank. Die Abgase der vielen Autos, die auf der Straße täglich an mir vorbeirasen, setzten mir schwer zu. Jetzt hat man auch ein schönes Schild an meinem Stamm befestigt. Darauf steht „Naturdenkmal“. Doch deswegen geht es mir auch nicht besser. Ich hoffe nur, dass ich meinen 300sten Geburtstag noch als Baum erleben darf!“

Text und Fotos © Walter J. Pilsak
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